Angekettet auf Bewährung – Urteil gegen Heiboaktivist:in
29. Dezember 2023 - 12:47 Uhr
Am vergangenen Montag, dem 18. Dezember 2023, verurteilte das Amtsgericht Bautzen eine Aktivist:in wegen eines besonders schweren Fall des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu sechs Monaten Haft, ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung sowie 150 Sozialstunden. Die Besetzung eines Waldstücks nahe des Kiestagebaus Ottendorf-Okrilla war im Februar 2023 von einem Großaufgebot der Polizei geräumt worden. Der verurteilten Person wurde vorgeworfen, sich in einem Lock-On festgekettet zu haben. Damit habe sie die Räumung verhindern wollen.
Der Straftatbestand „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ nach § 113 StGB bedroht Handlungen, die mit „Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt“ darauf abzielen beispielweise Polizeibeamt:innen an Einsatzhandlungen zu hindern. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn Waffen eingesetzt werden, lebensgefährliche Gewalt ausgeübt oder die Tat gemeinschaftlich mit anderen begangen wird. Mit den zur Bewährung ausgesetzten sechs Monaten Haft liegt das Urteil zwar am unteren Ende der möglichen Strafe. Doch wie ein besonders schwerer Fall des Widerstandes durch das passive Anketten in einem Lock-On begründet sein soll, erschließt sich nicht.
Politische Justiz
Die Klimaktivist*innen werfen dem Gericht vor, dass sich das Strafmaß aus der politischen Gesinnung des Vorsitzenden Richters ergibt. Sein Verhalten habe den über mehrere Tage laufenden Prozess bestimmt. Seine Äußerungen machten deutlich, dass er der Klimagerechtigskeitsbewegung ablehnend gegenüberstehe. Als die Verteidigung die ökologischen Folgen der Gefährdung der Moore neben der Rodungsfläche und die Passivität von Politik und Wirtschaft darlegen wollte, kommentierte laut Beobachter:innen der Richter Robert Klinklicht, „das Hin und Her um CO2 und den Schutz der Bäume“, sei „völlig belanglos“. Außerdem schloss er sich der Auffassung der Staatsanwaltschaft an, die in der Besetzungsaktion keinerlei zivilen Ungehorsam erkennen wollte. Es sei doch möglich Petitionen zu schreiben und zu demonstrieren.
Ein Dorn im Auge war dem Gericht auch der Versuch der angeklagten Person, die Angaben der eigenen Personalien zu verhindern. Dabei hatte sie eine Sicherheitsrücklage von 800 € gezahlt und erschien zu allen Terminen ordentlich geladen durch den Anwalt. Durch eine unangekündigte erkennungsdienstliche Maßnahme, bei der Fingerabdrücke abgenommen und Fotos gemacht wurden, die Durchsuchung der Begleitpersonen und letztendlich sogar Observation auf dem Heimweg wurden d Personalien schließlich ermittelt. Die Zuschauerin Anke Käthe T. berichtete nach einem der Prozesstage außerdem: „Zu einem Termin kam der Richter schon aufgebracht in den Saal und veranlasste kurze Zeit später die Personalienfeststellung aller Zuschauer:innen, ohne Zweck oder Verwendung zu nennen, da könnte mein Name ja an sonstwen gehen.“
Heidebogen in Gefahr
Die Besetzung fand in einem Waldstück unweit des von der Kieswerk Ottendorf-Okrilla GmbH & Co. KG betriebenen Tagebaus statt, welches zur Erweiterung desselben gerodet werden sollte. Es ist Teil des sogenannten Heidebogens. Die Klimaaktivist:innen hatten im August 2021 Baumhäuser und ein Camp errichtet. Sie kritisieren, dass die Erweiterung der Kiesgrube naheliegende Moorgebiete auszutrocknen drohe. Außerdem trage der massive Verbrauch von Kies in der Baubranche zur weiteren Erhitzung des Planeten bei. Angesichts der Klimakatastrophe seien solche Aktionen des zivilen Ungehorsams legitim und notwendig, sagte ein Sprecher der Besetzung nach dem Prozess gegenüber addn. „Wer hier mit Recht und Ordung argumentiert, vergisst, dass die Klimakrise jegliche „Ordung“ aushebelt und wir mit unserer aktuellen Rechtsprechung nicht weiterkommen. Ganz im Gegenteil: So wie aktuell auf politischer und juristischer Ebene immer wieder zu Ungunsten von Mensch und Umwelt entschieden wird, ist der Widerstand der Aktivist*innen dagegen umso legitimer und mutiger“.
Die Besetzung hatte viele Befürworter:innen, die auch in Dresden aktiv wurden, um auf die drohende Rodung aufmerksam zu machen. In Würschnitz ist bereits seit 2019 eine Bürger:inneninitiative für den Erhalt des Waldes aktiv. Gleichzeitig kam es auch zu Angriffen, mutmaßlich von Neonazis.
Lock-Ons sind Vorrichtungen in denen Aktivist*innen Teile ihres Körpers verankern, so dass es unmöglich ist, die fest gemachte Person zu bewegen, ohne sie zu verletzen. Üblicherweise gibt es auch keine Möglichkeit für den:die Angekettete, sich selbst zu befreien. Zu vielen verschiedenen Anlässen und seit langer Zeit – etwa bei Castor-Transporten oder Räumungen – sind diese Vorrichtungen Bestandteil von Protesten.
Titelbild von Jannis Große
Veröffentlicht am 29. Dezember 2023 um 12:47 Uhr von Redaktion in Freiräume, Ökologie